Wie Ken McElroy 1981 in Missouri starb: Ein Dorf, ein Tyrann, ein Lynchmord (2023)

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Wenn man sich Aufnahmen von Skidmore in Missouri ansieht, wirkt das 300-Einwohner-Dorf, als könnte nie etwas geschehen, hier im Nodaway County an der Grenze zum Nachbarstaat Iowa. Auf dem rissigen Asphalt der Elm Street geht es vorbei an flachen Holzhäuschen, die neue Farbe brauchen könnten oder ein paar neue Bretter, am Postamt und der kleinen Rotklinker-Kirche, an US-Flaggen und Wohnwagen in Vorgärten. Neben dem Rathaus leicht zu übersehen: der weißblaue Wellblech-Bungalow, wo Skidmore seine Unschuld verlor – oder seinen Frieden wiedergewann. Je nach Perspektive.

Vor 40 Jahren kannte ganz Amerika diesen kleinen Schuppen. In den Fernsehnachrichten, in der »New York Times« oder »Washington Post«, im »Rolling Stone« oder »Playboy«: Überall erschienen Bilder vom unscheinbaren Wellblechbau – und einem davor geparkten Wagen, einem Silverado-Pick-up mit offenen Türen und kleinen, kreisrunden Löchern im Blech.

Was von den Scheiben noch übrig war, hing wie Reste eines Spinnennetzes in den Gummirahmen oder war als winzige Splitter über das Fahrzeuginnere verstreut, über den Fußraum, die Ablagen – und über den großen tiefroten Fleck im Polster des Fahrersitzes.

Es war der Wagen von Ken McElroy, 47. Er hatte am Morgen des 10. Juli 1981 mit seiner Frau Trena am Wellblechbau der »D&G Tavern« gehalten, um ein paar Bier zur Erfrischung von der Hitze und Zigaretten zu holen. Als er zurück ins Auto stieg, hatte sich bereits eine Gruppe vor dem Wagen versammelt. McElroy steckte sich eine Zigarette in den Mund, er kam nicht mehr dazu, sie anzuzünden.

Der erste Schuss aus einem Jagdgewehr traf ihn durch die Heckscheibe in den Kopf. 20 Sekunden lang fielen weitere Schüsse. Am helllichten Tag wurde er mit mehreren Waffen regelrecht hingerichtet, vor den Augen von mindestens zwei Dutzend Augenzeugen, darunter auch Skidmores Bürgermeister.

Aber niemand wollte die Täter gesehen haben.

Jahre des Schreckens

Bezirksstaatsanwalt David A. Baird kam damals frisch von der Uni und war gerade erst im Beruf. Sein Vater habe ihm geraten, die Stelle im ländlichen Nodaway County anzunehmen, weil dort »nie etwas Aufregendes passiert«, sagte Baird der »New York Times«. Er hätte kaum mehr irren können. Schon bald kannte Baird den Namen Ken McElroy. Als er von der Schießerei mitten in Skidmore hörte, war sein erster Gedanke: McElroy muss geschossen haben. Wieder einmal.

Denn McElroy hatte einen überaus üblen Ruf: Wenn der bullige 100-Kilo-Mann mit den buschigen dunklen Koteletten nach Skidmore fuhr, holten Eltern ihre Kinder von der Straße. Offiziell war McElroy Farmer, er hatte die Haube vom Kofferraum seines weißen Cadillacs entfernt, um totes Vieh darin zu transportieren. Nicht unbedingt sein eigenes. Dem Gesetz zollte der ortsbekannte Viehdieb nicht den geringsten Respekt, so County-Sheriff Ben Espey 2006 in der »Chicago Tribune«: »Ich erinnere mich, wie er eines Tages meine Auffahrt hochfuhr und parkte ... drei Stunden lang. Ich war sicher, er würde meine Eber klauen.«

Diebstahl zählte noch zu den harmloseren Vergehen, derer McElroy sich über zwei Jahrzehnte schuldig gemacht haben soll: Vorgeworfen wurden ihm Sachbeschädigungen, Raubüberfälle, sexuelle Nötigungen, Angriffe mit Schusswaffen, Morddrohungen – eine lange Liste. McElroys Anwalt, der sich brüstete, auch die Mafia in Kansas City zu vertreten, schätzte rückblickend, dass er ihn durchschnittlich in drei Fällen pro Jahr vertrat.

Mit Erfolg: Irgendwie kam McElroy immer davon. Den wachsenden Unmut in Skidmore hielt er durch Gewaltdrohungen gegen jeden in Schach, der sich ihm in den Weg stellen wollte. Dass er die Umsetzung nicht scheute, bewies er, als er einem Farmer in den Bauch schoss.

Erstaunliche Wendungen vor Gericht

Laut »Washington Post« soll er sich zudem mehrfach an Minderjährigen vergangen haben, auch an einer Zwölfjährigen. Demnach gelang es ihm wohl durch Drohungen, die Strafverfolgung zu vermeiden – indem er etwa das Haus der Eltern eines Vergewaltigungsopfers niederbrannte. Zwei missbrauchte Mädchen habe Ken McElroy später sogar geheiratet, um sie von Aussagen abzuhalten.

Auch seine Ehefrau Trena, die am Tag des Mordes neben McElroy im Pick-up saß, hatte er kennengelernt, als sie noch Sechstklässlerin war. Hupend fuhr er immer wieder dem Schulbus hinterher, bis der Fahrer anhielt und das kleine Mädchen hinausließ.

Wie Ken McElroy 1981 in Missouri starb: Ein Dorf, ein Tyrann, ein Lynchmord (1)

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Wie ein Dorf mit Mord davonkam

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Bettmann/ Getty Images

Zahlreiche Verbrechen, aber keine oder nur geringe Strafen – wie konnte das passieren? Der Rechtsanwalt und Autor Harry N. MacLean erklärte es 1988 in seinem Buch »In Broad Daylight« so: McElroy habe nicht nur einen gewieften Anwalt gehabt, sondern auch gezielt Zeugen bedroht und versucht, Geschworene zu bestechen. Wiederholt hätten Prozesse verblüffende Wendungen genommen.

1973 etwa seien Morddrohungen gegen einen Zeugen und ein Schrotflintenschuss auf den Boden vor dessen Füße überraschend vom Schwerverbrechen zu einem Vergehen herabgestuft worden. Bei einer Klage gegen McElroy habe man Gerichtsakten versiegelt, was sonst nur nach Freispruch oder Abweisung des Verfahrens geschehe – beides traf nicht zu. Auf Nachfragen, so MacLean, hätten die Staatsanwälte nur angegeben, sich an den Fall nicht erinnern zu können.

Immer wieder kam McElroy frei

»Niemand hat eine Vorstellung davon, in was für einem Albtraum wir gelebt haben«, sagte Einwohnerin Cheryl Houston 2010 der »New York Times«. Ken McElroy hatte ihrem Vater, einem 70-jährigen Lebensmittelhändler, mit einer Schrotflinte in den Hals geschossen – wegen eines Streits über ein Bonbon.

20 Mal war McElroy zuvor bereits angeklagt, stets ohne Verurteilung. Für einen Moment sah es aus, als würde er diesmal nicht davonkommen: Ein Geschworenengericht befand ihn wegen schwerer Körperverletzung für schuldig, auch wenn es die maximale Haftstrafe auf zwei Jahre begrenzte.

Der Richter jedoch setzte McElroy bis zum Berufungsverfahren gegen Kaution auf freien Fuß. Wenig später verhaftete man ihn wieder, weil er gegen die gerichtlichen Auflagen verstieß, als er mit einem Gewehr durch die Stadt lief. Doch abermals kam McElroy bald auf Kaution frei.

Am 10. Juli 1981 sollte eine Anhörung erfolgen, ob die Freilassung widerrufen werden kann. Sie wurde verschoben. Daher trafen frustrierte Bürger Skidmores sich am Morgen mit dem Bürgermeister und dem Sheriff, um zu besprechen, wie ihre Sicherheit gewährleistet werden konnte. Wenig später war Ken McElroy tot.

Eine Mauer des Schweigens

Seine Frau Trena überlebte. Jemand hatte sie, als die Schüsse auf dem Parkplatz fielen, aus dem Auto gezerrt und in einer nahen Bank in Sicherheit gebracht. In Panik floh die traumatisierte Frau zunächst aus dem Ort vor der Polizei – sie war überzeugt, dass die Polizisten mit den Mördern unter einer Decke steckten.

Der Menschenauflauf sei ganz klar »eine Falle« gewesen, erzählte sie damals der »Kansas City Times«. Die Menge sei »von meiner Seite aus näher an den Truck gekommen und hat nur dort gestanden und gestarrt. Es schien, als würden sie auf etwas warten«. Sie habe eindeutig einen der Schützen erkannt, der von der anderen Straßenseite aus auf ihren Mann geschossen habe: Del Clement.

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Eine Tat in der Öffentlichkeit, etliche Zeugen – eigentlich hätte der Fall klar sein sollen. Doch die örtlichen Ermittler liefen gegen eine Wand: Sie luden rund 100 Menschen vor; keiner machte eine Aussage, die ausgereicht hätte, um Anklagen zu erheben. Eine regionale Untersuchungskommission wurde hinzugezogen und fand keine verwertbaren Indizien. Drei Grand Jurys wiesen Anklagen ab. Das FBI hatte bei den Einwohnern ebenfalls keinen Erfolg.

Alle Zeugen sagten in Variationen die gleiche Geschichte aus: Sie hätten sich auf den Boden geworfen, als Schüsse fielen. Und niemanden mit einer Waffe sehen können, als die Schüsse verstummten. Daran hielt sich selbst Bürgermeister Steve Peter.

Egal, was die Ermittler unternahmen, Skidmore schwieg. Bei einer Hinweis-Hotline gingen in fünf Tagen gut 100 Anrufe ein – kein einziger aus Skidmore. Ganz offenbar deckte der Ort die Bluttat.

Niemand hat jemals ausgepackt

Manche Behauptungen von Bürgern Skidmores sollten wohl in die Irre führen: Ein »langes schwarzes Auto« voller Männer in dunklen Nadelstreifenanzügen sei kurz vor der Tat auf der Hauptstraße vorbeigefahren, sagten mehrere Frauen aus. Andere wollten die verdächtigen Anzugträger am selben Morgen beim Frühstück in einem Café gesehen haben. Einer legte nahe, McElroy sei von seinen Freunden aus der Kansas-City-Mafia ermordet worden.

Die Ermittlungen streckten sich Jahr um Jahr hin – und die Einwohner schwiegen weiter eisern. »Sie steckten da alle mit drin«, warf Trena McElroy zornig der Polizei vor, klagte auf drei Millionen Dollar Schadensersatz gegen die Stadt und den Landkreis, schrieb 5000 Dollar Belohnung für Hinweise zur Ergreifung der Täter aus. Alles vergebens. Schließlich heiratete sie erneut und verließ den Bundesstaat. Der von ihr Beschuldigte, Del Clement, starb 2009, Trena selbst drei Jahre später mit erst 55 Jahren an Krebs.

Polizeichef Hal Riddle, der die Mordermittlungen leitete, bezeichnete den McElroy-Fall als den frustrierendsten seiner ganzen Laufbahn. Er ging in Ruhestand, ohne das Rätsel je gelöst zu haben – ebenso wie Staatsanwalt Baird nach seinem Berufsleben im Nodaway County, wo sonst nie etwas passiert.

Einen Fall zu verhandeln, sagte Baird 2010 zu seiner Pensionierung der »New York Times«, helfe nach seiner Erfahrung »nicht immer dabei, einen Abschluss zu finden«. Und Augenzeugin Marla Messner, deren Eltern sie als Kind vor McElroy versteckten, sagte: »Nach all diesen Jahren reden die Menschen noch immer darüber.« Nur eben nicht mit der Polizei.

FAQs

What town is mute for 30 years about a bully's killing? ›

SKIDMORE, Mo. — The murder of Ken Rex McElroy took place in plain view of dozens of residents of this small farm town, under the glare of the morning sun. But in a dramatic act of solidarity with the gunman, every witness, save the dead man's wife, denied seeing who had pulled the trigger.

How old was Ken Rex McElroy when he died? ›

Is Trina McElroy still alive? ›

Is no one saw a thing based on a true story? ›

Ken Rex McElroy terrorized the town of Skidmore, Missouri, for decades. On July 10, 1981, 60 townspeople surrounded his truck and shot him dead. The shocking circumstances of his murder garnered international attention.

Who was the bully in the small Missouri town? ›

Known as the town bully, Ken Rex McElroy terrorized tiny Skidmore, Missouri for decades. Then on July 10, 1981, the town had enough. Over 60 people surrounded his pickup truck and shot him dead on Main Street-but no one claimed to see a thing.

What is the movie about the bully getting killed in Missouri? ›

Storyline. After terrorizing the people of Nodaway County and repeatedly escaping justice for years, the town bully finally meets his demise at the hands of the townspeople of Skidmore, Missouri. Immediately, law enforcement at all levels mount an intense investigation to find and arrest the shooters.

What movie was about a town bully murdered? ›

In Broad Daylight is a 1991 American made-for-television thriller drama film about the life of Ken McElroy, the town bully of Skidmore, Missouri who became known for his unsolved murder.

What is the real story behind Bully? ›

Bobby Kent (né Khayam; May 12, 1973 – July 14, 1993) was an Iranian-American man who was murdered by seven people, including his best friend, Martin Joseph "Marty" Puccio, Jr (born March 21, 1973) in Weston, Florida. The murder would be adapted into the 2001 film Bully.

Who was the woman murdered in Skidmore Missouri? ›

Bobbie Jo Stinnett (December 4, 1981 – December 16, 2004) was an American 23-year-old pregnant woman who was murdered in Skidmore, Missouri in December 2004. The perpetrator, Lisa Marie Montgomery, then aged 36-years-old, strangled Stinnett to death and cut her fetus (eight months into gestation) from her womb.

Where is Ken Rex McElroy buried? ›

What happened in the town of Skidmore? ›

On October 16, 2000, Greg N. Dragoo beat and dragged his girlfriend, Wendy Gillenwater, down several country roads outside of Skidmore, causing her to die. Gillenwater's body was found outside her Skidmore home. Dragoo was charged with murder and given a life sentence by a Nodaway County judge.

Who is Danielle with Ken McElroy? ›

Joining us is the lovely Danille McElroy, a real estate investor, entrepreneur, and co-host of The Ken McElroy Show! She'll be sharing her journey of how she started from nothing before scaling herself above and beyond!

Was there a movie made about Ken Rex McElroy? ›

He also has ties to two of the town's most well-known murder victims, Ken Rex McElroy and Bobbie Jo Stinnett. Ken Rex McElroy, whose still-unsolved murder outside of the local tavern inspired a book and movie both entitled “In Broad Daylight” was known to both of Scott's parents.

What is the Netflix series about Skidmore MO? ›

Examines an unsolved and mysterious death in Skidmore, Missouri, 1981, after a resident is shot dead vigilante style in front of almost 60 townspeople, who deny having seen anything.

When was no one saw a thing made? ›

No One Saw a Thing (2019)

What town was the bully shot in Missouri? ›

Ken Rex McElroy (June 1, 1934 – July 10, 1981) was an American criminal and convicted attempted murderer who resided in Skidmore, Missouri, United States. He was known as "the town bully", and his unsolved killing became the focus of international attention.

Where was McElroy killed? ›

Where was bullied filmed? ›

Filming took place in southern Florida in the summer of 2000.
...
Bully (2001 film)
Bully
Based onBully by Jim Schutze
Produced byDon Murphy Chris Hanley Fernando Sulichin
StarringBrad Renfro Bijou Phillips Rachel Miner Michael Pitt Kelli Garner Leo Fitzpatrick Nick Stahl
CinematographySteve Gainer
13 more rows

How big is Skidmore Missouri? ›

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Author: The Hon. Margery Christiansen

Last Updated: 01/05/2023

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